Literarisches

"Entschuldigung, sind Sie nicht Günter Grass?"

"Ja."

"Hab ich's doch gewußt. Sie sehen genau so aus, wie auf den Fotos, die immer über dem Klappentext Ihrer Bücher zu finden sind."

"Sie lesen meine Bücher?"

"Klar. Also, natürlich nicht alle. Eins. Quasi das erste Kapitel. Einmal quer."

"Doch so viel?"

"Na sicher. Ich setz' mich mal kurz zu Ihnen. Nichts dagegen, oder?"

"Also eigentlich warte ich gerade..."

"Macht doch nichts. Ich habe da nämlich eine tolle Idee für ein neues Buch, wenn ich Ihnen das mal kurz vorstellen darf."

"Leider habe ich im Augenblick gar keine Zeit"

"Also, passen Sie auf: die Geschichte spielt auf einem Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer. An Bord nur piekfeine Gesllschaft, Sie verstehen schon, die Männer alle im Frack, die Frauen richtig im besten Zwirn, alles da, was ein fettes Konto hat, hahaha."

"Ha."

"Und jetzt kommt der Clou: was keiner weiß, außer dem Leser natürlich, ist, daß sich Außerirdische an Bord befinden!"

"Außerirdische."

"Toll, nicht? Aber halten Sie sich fest, das sind keine gewöhnlichen Außerirdischen!"

"Nicht?"

"Nein. Es sind außerirdische Vampire. Und nach und nach werden die feinen Pinkel dezimiert, bis nur noch ein kleiner Junge übrig ist. Der hat sich als blinder Passagier an Bord geschlichen. Und er kriegt raus, wo die große Schwäche der Außerirdischen ist. Und wissen Sie, was des Rätsels Lösung ist?"

"Ich zittere vor unbändiger Erwartung."

"Die Außerirdischen sind wasserscheu."

"Das leuchtet ein. Deshalb überqueren Sie das Meer auch auf einem Schiff und schwimmen nicht etwa auf dem Rücken hindurch."

"Sagen Sie selbst, ich gebe sehr viel um Ihr Urteil, das ist doch ein einmaliger Stoff, oder nicht?"

"In der Tat, ich kann mich nicht erinnern, jemals eine solche Geschichte gehört zu haben."

"Ha! Ich wußte es! Natürlich muß zwischendurch noch etwas geschehen, bis es zum Showdown kommt, aber da lasse ich Ihnen freie Hand."

"Wieso mir? Was habe ich damit zu schaffen?"

"Weil ich Ihnen diesen Stoff anbieten möchte."

"Warum schreiben Sie dieses epochale Meisterwerk nicht selbst?"

"Sehen Sie, ich bin mehr der kreative Typ und Sie haben es mehr mit dem Handwerklichen. Ich habe mir gedacht, ich steuere die Idee bei und Sie erledigen den Rest, also das schnöde Schreiben. Auf dem Buchumschlag erscheinen wir dann beide, also groß oben drüber 'Ernst Speckfinger und Günter Grass' , Ihr Name vielleicht eine Spur kleiner gesetzt, und dann der Titel, ich dachte da an 'Die Weltraumvampire', wie finden Sie das?"

"Kein Zweifel, der Titel steht in seiner Originalität der Story in nichts nach."

"Wir machen natürlich fifty-fifty. Nur über die Filmrechte müßten wir noch reden."

"Die Filmrechte. Natürlich."

"Die Story ist ja von mir und für's Kino wird ja sowieso immer umgeschrieben. Es wäre also nicht ganz fair, wenn wir das auch teilen würden. Trotzdem würde ich Ihnen rein aus Sympathie 30% abtreten, wäre das in Ordnung für Sie?"

"Oh nein, Sie beuten sich ja aus. Auf gar keinen Fall könnte ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, einen so großen Anteil zu kassieren. Schließlich würde ich ja nichts geleistet haben, sieht man von dem dicken Buch ab, das ich geschrieben hätte."

"Daran erkennt man den Profi. Also 80 zu 20, keine Widerrede."

"Danke, ich danke Ihnen vielmals. Welche Ehre für mich."

"Bis wann meinen Sie, könnten Sie fertig sein?"

"Ist nächste Woche früh genug?"

"Ja, das ist akzeptabel. Am besten, Sie kommen dann zu mir. Ich wohne Hauptstraße 109, 8. Stock. Im Hinterhaus. Wenn ich nicht aufmache, können Sie mir das Manuskript einfach in den Briefkasten werfen."

"Diese Ehre... diese Ehre..."

"Sind Sie eigentlich öfter in diesem Café?"

"Ich denke ernsthaft darüber nach, glauben Sie mir."