Der Specht im Karpfenteich

1. Kapitel

Es begann am Freitagvormittag. Ich war gerade damit fertig geworden, die Nägel an meinem linken Fuß zu schneiden, als das Telefon klingelte.

»Hallo?« fragte ich den Hörer.

»Hallo?« antwortete das Echo auf der anderen Seite der Leitung mit einer versoffenen Frauenstimme. »Sind Sie der Detektiv?«

»Höchstselbst.«

»Ich habe ’nen Auftrag für Sie. Vielleicht.«

»Um was geht’s?«

»Nein ... nicht am Telefon. Am besten komme ich vorbei. Wo ist denn Ihr Büro?«

Ich sah mich in meinem Stall um. Auf dem Fußboden lag meine getragene Unterwäsche der letzten Woche. Ich hatte nur eine Socke an, hockte auf der Bettkante, und auf dem kleinen Campingtisch vor mir befanden sich das Telefon und fünf Zehnägel, die ich mit dem Kabel durcheinandermischte wie kleine Dominosteine. Die Luft roch nach Achselschweiß. »Hm ... mein Büro wird gerade renoviert. Kennen Sie vielleicht den Biergarten am Friedensplatz?«

»Ja.«

»Treffen wir uns dort. So in einer Stunde?«

Die Frau zögerte. Zeitgleich begann jemand, mit der flachen Hand gegen meine Zimmertüre zu hämmern. Mein rhythmisches Gespür erkannte sogleich den Takt meiner Vermieterin.

»Was ist denn da los?« fragte die Anruferin.

»Das sind die Handwerker. Ich sagte ja schon ...«

»Ja, in Ordnung. In einer Stunde. Woran erkenne ich Sie?«

Ich betrachtete mein holdes Antlitz, das sich in der halbvollen Bierflasche auf dem Tisch widerspiegelte. Ich war Anfang 30, sah aber natürlich wesentlich älter aus. »Sie erkennen mich schon«, orakelte ich. Tatsächlich war ich ein echter Hingucker. Dann hängte sie ein und ich trabte zur Tür.

»Tag Frau Kuhn.«

»Nußkraft«, sagte Frau Kuhn. So wie sie meinen Namen aussprach, klang er wie eine Beleidigung. »Sie sind mal wieder im Rückstand!«

»Seit wann?«

»Seit wann?« wiederholte die Schallplatte. »Seit dem Ersten. Wieder mal.«

»Ich komm’ heut’ Nachmittag vorbei.«

»Hoffentlich«, kläffte Kuhn. »Langsam bin ich es leid mit Ihnen!«

»Alles klar«, sagte ich und reckte den Daumen in die Höhe.

»Jeden Monat das gleiche Spiel.«

»Alles klar.«

»Wenn Sie denken, daß das so weitergehen kann ...«

»Alles klar«, sagte ich und schmiß die Tür zu. Draußen quäkte Frau Kuhn ihren Monolog zu Ende. Ich suchte meine linke Socke, konnte sie aber in dem bestehenden Chaos nicht finden. Ich zog also eine andere an. Ich hatte sie die Tage schon einmal getragen, sie hatte ein Loch und duftete nach reifem Camembert.


Im Biergarten war noch nicht viel los. Als mein bestelltes Bier kam, spülte ich es hastig herunter und orderte gleich das nächste. Nach ein paar Minuten traf eine Frau ein. Sie hatte zwei knatschende Kinder im Schlepp und unter ihrer gewölbten Bauchdecke bastelte sie bereits am dritten.

»Sind Sie von der Detektei?«

Ich nickte. »Mein Name ist Paul Nußkraft.«

»Komischer Name für ’nen Detektiv!« Sie angelte sich einen Stuhl und setzte sich mir gegenüber. Die Frau sah aus, als ob sie auf einer Sonnenbank wohnte. Ihre Haut war so faltig wie der Hals einer alten Schildkröte.

»Wie heißen Sie denn?«

Sie fummelte nervös eine Zigarette aus der Packung und stopfte sie sich zwischen ihre Fischlippen. »Kwiatkowski. Nicole Kwiatkowski.«

»Ist aber auch nicht gerade feiner Landadel, oder?«

»Sind Sie immer so freundlich?«

»Ich bin immer so beschäftigt. Vielleicht kommen Sie zur Sache. In meinem Büro wartet ’ne Menge Arbeit auf mich.« Ich dachte an meinen rechten Fuß, den ich noch beschneiden mußte, bevor die Zehnägel meine Socken zerschredderten. Die beiden Rangen liefen kreischend um Tische und Stühle, und ich verspürte große Lust, sie einzufangen und im Park an die Enten zu verfüttern.

»In der Zeitung stand, Sie arbeiten auf Erfolgsbasis?«

»Genau.«

»Das heißt, ich muß Sie nicht bezahlen, wenn Sie nichts herausbringen?«

»Kann man so sagen. Abgesehen von 200 Mücken, mit denen Sie in Vorlage gehen und die Sie in jedem Fall los sind. Im Erfolgsfall verrechne ich die natürlich mit den 50 plus Spesen pro Tag, mit denen Sie dann bei mir hinten sind.«

»Davon stand aber heute nichts in der Zeitung.«

»In der Zeitung stand auch nicht, daß ich der liebe Nikolaus bin, der Geschenke im Sack hat. Hören Sie, Gnädigste: Sie können gerne zu ’ner anderen Detektei gehen, da sind Sie dann in der ersten Woche schon mal ’nen Tausender los, ob’s nun zu was geführt hat oder nicht. Ich muß mich einfach irgendwie absichern, daß mich nicht ein Spaßvogel auf ’nen toten Fall ansetzt.«

Sie dachte kurz nach. Im hinteren Teil des Biergartens fiel ein Stuhl laut scheppernd um.

»Kevin! Jason!« bellte Madame. Mir war schon vorher klar gewesen, daß ihre Blagen gar nicht anders heißen konnten. Sie sog so heftig an der Zigarette, daß die Spachtelmasse auf ihren Wangen kleine Risse bekam. »In Ordnung. Ich suche einen Mann.«

»Leider bin ich keine Partnervermittlung.«

»Ich suche auch einen ganz bestimmten.« Sie öffnete ihr kleines Handtäschchen und kramte umständlich ein zerknittertes Foto heraus, das sie beinahe achtlos auf den Tisch warf. »Das ist er. Er heißt Udo Filbinger. Ich möchte, daß Sie ihn finden.«

Ich sah mir das Bild an. Filbinger war ein Bursche von vielleicht 25 Jahren und somit ein gutes Stück jünger als Spachtel-Nicki. Er war ein sportlicher Typ, nicht unattraktiv, soweit man das als Mann beurteilen möchte. Ich persönlich ziehe natürlich Weiber vor.

»Warum suchen Sie ihn?«

»Deswegen«, sagte sie und strich mit beiden Händen über den Fesselballon, den sie unter ihrem Kleid trug.

»Hm, die beiden anderen ... reizenden Kinderlein – gehören die auch zu seiner werten Nachkommenschaft?«

»Nein«, sagte sie knapp.

Ich sah verächtlich zu den beiden spreizfüßigen Rallen hinüber. Sie waren vielleicht vier oder fünf, einer strohblond wie ein Weizenfeld und der andere sah aus wie kalter Milchkaffee. Vermutlich erfreute sich Fräulein Kwiatkowski an einem abwechslungsreichen Liebesleben. Mir war ziemlich schnell klar, warum sich der arme Teufel verdrückt hatte, aber mein leeres Girokonto erlaubte es mir nicht, einen mitleidvollen Gedanken zu verschwenden.

»Irgendeine Ahnung, wo er sich herumtreiben könnte?«

Ohne darauf zu antworten warf sie mir einen kleinen Packen Papiere zu. Es handelte sich um einen ansehnlichen Haufen Bußgeldbescheide aus den letzten Tagen wegen Falschparkens, Geschwindigkeitsübertretung und anderer Kinkerlitzchen, von denen ich selbst eine stadtbekannte Sammlung mein Eigen genannt hatte, als ich noch ein Auto besaß. Und dann gab’s noch eine Rechnung über zusätzliche 150 Piepen für das Abschleppen des Wagens von einem Behindertenparkplatz. Adressiert war das Ganze an Nicoline-Nikotine persönlich und der Absender waren die grünen Jungs aus Paderborn. Sie wartete geduldig ab, bis ich mich satt gesehen hatte und steckte den Papierkram dann wieder ein.

»Er ist mit Ihrem Wagen abgehauen?«

»Ja. Es ist ein roter BMW.«

»Dann hat er ihn doch geklaut. Warum gehen Sie nicht zur Polizei? Da haben Sie ’nen Grund und kommen billiger weg.«

»Erstens«, sagte sie und begann, mit ihren nikotingelben Fingern mitzuzählen, »hat Udo das Auto nicht gestohlen, sondern ich hab’s ihm freiwillig geliehen. Zweitens weiß ich ja jetzt, wo der Wagen ist. Nämlich bei den Bullen in Paderborn. Udo werden sie kaum mit abgeschleppt haben, meinen Sie nicht auch? Und drittens glaube ich, daß er da drüben eine Andere hat. Aber ich will es wissen

Ihre Argumente klangen für mich ein wenig vorgefertigt. Sie war ein bißchen schnell mit ihren Sprüchen. Irgendwie war das alles so künstlich wie ihre Gesichtsfarbe.

»Na gut. Wenn Sie wollen, schnüffel ich mal ein wenig ’rum. Bißchen Landluft wird mir gut tun. Wenn Sie dann noch bitte mein Taschengeld ausspucken möchten?«

»Nehmen Sie ’nen Scheck?«

»Noch nicht mal von meiner eigenen Mutter.«

Sie holte eine Geldbörse hervor und wandte sich etwas von mir ab. Trotzdem konnte ich erkennen, daß ’ne Menge Lappen darin waren, von denen sie mir zwei Hunderter rüberschob. Ich griff nach der Kohle, knüllte sie zusammen wie ein benutztes Taschentuch und stopfte sie in meine Hosentasche. Das Portemonnaie wollte ich nicht zücken, damit sie nicht sah, daß es so leer war wie der Schädel ihrer Blagen.

»Na gut«, sagte ich. »Ich werde sehen, ob ich Ihren Kummer stillen kann. Was soll ich tun, sobald ich ihn gefunden habe?«

»Können Sie ihn festnehmen und nach Oberhausen bringen?«

Ich nippte an meinem Glas und stellte fest, daß es leer war bis auf etwas Schaum, den ich mit meinen trockenen Lippen ansaugte, wie es ein Düsentriebwerk mit einem Vogelschwarm tut.

»Sobald ich den Kerl aufgespürt habe, breche ich ihm erst einmal das Nasenbein, damit er merkt, daß ich kein lieber Onkel bin, der ihm Schokolade schenken will. Anschließend drehe ich ihm den Arm auf den Rücken bis es knackt, lege ihm Handschellen aus Edelstahl an, stülpe ihm ’nen alten Jutesack über die Rübe, schmeiße ihn in den Kofferraum und lade den Burschen wie ein UPS-Mann vor Ihrem Briefkasten ab. Etwa so?«

Die Tante glotzte mich mit bierdeckelgroßen Augen an. Offenbar hatte ich ihren Geschmack getroffen.

»Geht das?« fragte sie allen Ernstes.

»Nein. Ich bin nicht Kojak, Werteste. Auch wenn mir das Haar ausgeht.«

»Wir machen es so«, schlug die Krokotasche vor. »Suchen Sie Udo, und sobald Sie ihn gefunden haben, stellen Sie fest, ob wirklich eine andere Frau im Spiel ist. Einverstanden?«

»Sie sind der Boß.«

»Gut«, sagte Nicolette, fummelte erneut in ihrer Handtasche herum und warf einen zugeklebten Briefumschlag zu mir herüber. Zeitgleich gab ein paar Meter weiter hinten ein leeres Glas den Gesetzen der Schwerkraft nach und zerbrach auf dem Pflaster in mindestens fünf Millionen Einzelteile. Ein Kellner schimpfte lautstark über die beknackten Gören, die, wie nicht anders zu erwarten war, die Katastrophe zu verantworten hatten. »Kinderhasser! Sicher auch Kinderschänder!« blaffte Medusa von der anderen Tischkante. Sie war sowieso ein bemerkenswertes Argument für die Einführung der Geburtenkontrolle. »Da drin sind 150 Euro und eine Vollmacht. Hier sind auch die Autoschlüssel. Holen Sie bitte gleich meinen Wagen ab, wenn Sie schon mal da sind. Die Papiere müßten noch im Handschuhfach liegen. Ich habe für Sie auch ein Hotelzimmer reserviert. Hotel Krone auf der Rathausstraße. Für das Wochenende. Länger werden Sie ja wohl nicht brauchen, oder?«

»Sind Sie vom Fremdenverkehrsamt?«

Sie wurde etwas ungehalten. »Ich weiß, wie Typen wie Sie mit dem Begriff Spesen umgehen. Das ist alles. Sie wollten im Vier Jahreszeiten absteigen, was?«

»Nein, ich wollte im Kofferraum pennen.«

»Ich schreibe Ihnen meine Telefonnummer auf. Geben Sie mir Bescheid«, sagte Madame und krakelte ein paar Zahlen auf einen Bierdeckel. »Es eilt«, fügte sie noch an. »Können Sie sofort anfangen?«

Ich hob die Schultern. Außer einer halben Pediküre hatte ich heute nichts mehr vor.

»Klar«, antwortete ich.

 

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