Eine einfache Geschichte

Kapitel 1: 1978

Wenn Robert nach der Schule heimkommt, setzt er sich an seinen Schreibtisch unter das große Fenster und macht seine Hausaufgaben. Er teilt sie sich so ein, daß er mit den schwierigen und umfangreichen Aufgaben beginnt und dann nach und nach zu den einfacheren Sachen übergeht. Die Bücher und Hefte, die er dazu benötigt, stapelt er sorgfältig in einer Ecke des Tisches auf, und jedesmal, wenn er die Hausaufgaben eines speziellen Faches erledigt hat, räumt er die dazugehörigen Unterlagen wieder in seine Schultasche. So wird der Stapel allmählich kleiner und seine Hausaufgaben weniger. Schließlich ist er fertig. Das ist meistens die Zeit, in der der Vater nach Hause kommt, um zu essen. Vater arbeitet in einer kleinen Eisenwarenhandlung ganz in der Nähe und kommt immer zur Mittagszeit in die Wohnung zurück. Während Robert noch mit seinen Aufgaben beschäftigt war, hat die Mutter das Essen gekocht und nun sitzen sie alle drei an dem kleinen Küchentisch und essen. Heute gibt es Erbsensuppe. In Vaters Suppe schwimmt ein großes Stück Speck, in Mutters ein kleineres. Robert mag den Speck nicht. Die Mutter hat ihm daher zwei Bockwürstchen in die Suppe getan. Der Vater fragt Robert, wie es in der Schule war. "Wie immer", sagt Robert. Schließlich haben sie aufgegessen. Vater gibt Mutter einen Kuß auf die Wange. Robert bekommt einen Klaps auf die Schulter. Dann zieht der Vater wieder seine Jacke an und geht zurück in den Laden. Mutter legt das Geschirr in das Spülbecken und läßt den kleinen Heißwasserboiler vollaufen, der sich darüber befindet. Robert wäscht sich noch kurz die Hände. Dann geht er in sein Zimmer zurück und setzt sich an den Schreibtisch unter das große Fenster. Einen Moment sitzt er da und sieht hinunter auf den Innenhof, wo die anderen Jungen Fußball spielen. Dann öffnet er eine Schublade und holt ein, zwei Schulhefte heraus. Es sind die gleichen Hefte, wie sie sich auch in seinem Ranzen befinden. Aber in diesen hier gibt es keine Mathematik, keine Diktate und kein Latein. In diese Hefte schreibt er seine Geschichten. Wenn er groß ist, möchte Robert Schriftsteller werden.

Robert ist 11. Solange er sich erinnern kann, hat er sich schon Geschichten ausgedacht, und als er sechs Jahre alt war, begann er, sie aufzuschreiben. Seine allererste Geschichte handelte von einer Maus, Max hieß sie, die in einem großen Pilz wohnte und in die Welt hinausziehen wollte. Robert schrieb sie mit seinem Schulfüller auf die großen, weißen Seiten eines Malblocks. Immer zwei oder drei Zeilen auf eine Seite. Und dann malte er mit seinen Wasserfarben eine Illustration dazu. Häufig verlief ihm dabei die feuchte Farbe in die blaue Schultinte und beides vermischte sich etwas. Aber als die Seiten getrocknet waren, konnte man die Schrift noch immer gut lesen. Robert ließ Max bis zu dem Fluß wandern, der in der Nähe des Pilzes fließen sollte. Max lag im hohen Gras und sah in den blauen Himmel, auf dem langsam dicke, schwarze Gewitterwolken aufzogen. Als es zu regnen begann, flüchtete sich Max unter eine große Fichte. Aber dort schlug alsbald ein Blitz ein und Max ließ das Bündel zurück, das er sich für die Reise geschnürt hatte und rannte heim zu seinem Pilz. Das letzte Bild zeigte Max in seiner Wohnstube am Feuer eines kleinen Kamins sitzen, die Füße auf einem Hocker gelagert. Robert malte ein hübsches Titelbild für seine Geschichte, schob die Seiten einzeln in einen Locher und band sie dann mit einem roten Wollfaden zusammen. Es war sein erstes "Buch" und er nannte es "Max, die Maus".

Später hörte Robert damit auf, seine Geschichten zu illustrieren. Schließlich wollte er Schriftsteller werden, nicht Maler. Er schrieb jetzt auf den linierten Seiten blauer Schulhefte. Zunächst wandelte er häufig Geschichten ab, die er im Fernsehen gesehen hatte. Geschichten von verwegenen Cowboys und wilden Indianern. Oder von einem Mann, der auf einer einsamen Insel strandet. Wenn er nach der Schule auf dem Heimweg an dem alten Kino vorbeikam, betrachtete er auch oft die Fotos, die in den großen Glaskästen aushingen. Er fragte sich, in welcher Reihenfolge sich die abgebildeten Szenen vermutlich abspielen würden, welche Geschichte wohl hinter diesen Bilden steckte. Und wenn er dann nach Hause kam, setzte er sich an seinen Schreibtisch unter das große Fenster und schrieb die Geschichte auf. Von Riesenaffen und Robotern. Von Dinosauriern und silbernen Raumschiffen, die die Erde umkreisten.

Inzwischen brauchte Robert diese Art der Inspiration nicht mehr. Es fiel ihm nicht mehr schwer, eine zündende Idee zu haben, die den Stein seiner Geschichten ins Rollen brachte. Und das, was er schrieb, war farbiger und einfallsreicher als die buntesten Aushangfotos des alten Kinos. Auch wurden seine Erzählungen immer länger und vielschichtiger. "Max, die Maus" bestand aus sechs Malblockseiten und einem Deckblatt dazu. Später brachte er vier Geschichten in einem Schulheft unter und zuletzt paßte gerade mal eine einzige hinein. Augenblicklich schrieb Robert an einer Geschichte, die sich bereits in das dritte Heft gezogen hatte. Die Geschichte handelte von drei Rittern, die auf der Suche nach drei Schlüsseln sind, mit denen sich wiederum die drei Schlösser eines geheimnisvollen Turmes öffnen lassen. Robert mag solche mysteriösen Sachen. Verschlossene Schatztruhen, unbekannte Runen und geheimnisvolle Türen. Seine Ritter tragen bunte Rüstungen. Eine ist blau. Eine ist rot. Und die dritte ist grün. Das Land, das er sie durchstreifen läßt, ist voller Wunder und Gefahren. Es gibt Feen und Zwerge, große, fleischfressende Pflanzen und einen riesigen, fliegenden Lindwurm. Robert schlägt das dritte Heft auf und blättert hindurch, bis er an die Stelle stößt, an der er gestern aufgehört hat, zu schreiben. Dann liest er nochmal seine letzten Sätze und schon bald ist er selbst in dem geheimnisvollen Land, das seine Phantasie auf die Heftseiten gezaubert hat. Nachdem Mutter den Abwasch erledigt hat, kommt sie kurz in Roberts Zimmer. Sie fragt ihn, ob er nicht nach draußen gehen möchte um vielleicht mit den anderen Jungs zu spielen. Die Sonne scheint. Vom Hof her hört man die Kinder, wie sie einander zurufen und das Geräusch des Fußballs, der immer wieder gegen die Mülltonnen knallt. Die Mutter sieht über Roberts Schulter. Robert mag nicht, wenn man ihm beim Schreiben zusieht. Er kann sich dann nicht mehr konzentrieren, weil er ständig darüber nachdenken muß, was seine Mutter wohl gerade denkt. Automatisch schirmt er seine Schrift mit der linken Hand ab, wie er es auch in der Schule tut, wenn der Junge neben ihm beim Diktat von ihm abschreiben will. "Später vielleicht", antwortet er. Aber er weiß, daß er heute weiterschreiben wird. So wie gestern. Oder vorgestern. So wie immer. Die Mutter weiß das auch. Sie streicht ihm mit der flachen Hand durchs Haar. Dann geht sie wieder hinaus. Und Robert ist wieder allein mit den drei Rittern, die gerade den großen Wasserfall erreicht haben.

Am Abend kommen die Großeltern zu Besuch. Vater möchte, daß Robert mit ins Wohnzimmer kommt. Also klappt er seine Hefte zu und verstaut sie wieder in der Schublade. Großmutter wundert sich, daß Robert so groß geworden ist. Das tut sie immer. Robert kann das nicht verstehen. Wenn er sich im Spiegel betrachtet, sieht er immer gleich aus. Der Großvater fragt Robert, wie er in der Schule vorankommt. "Es geht", antwortet Robert.
"In Deutsch hat er eine Eins", sagt die Mutter stolz.
Das stimmt. Robert ist gut in Rechtschreibung. Und seine Aufsätze sind die besten der ganzen Klasse. Dafür hat er eine Fünf in Latein. Und eine Vier Minus in Sport. Aber das findet Robert nicht so schlimm. Mutter und Großmutter trinken ein Gläschen Pfefferminzlikör. Die beiden Männer trinken Bier. Robert ißt Schokolade, die die Großeltern ihm mitgebracht haben. In Gedanken ist er schon wieder am großen Wasserfall, hinter dem die Ritter ein verstecktes Tal gefunden haben.
"Was möchtest du denn später einmal werden, Robert?", unterbricht die Großmutter seinen kurzen Ausflug.
"Schriftsteller", sagt Robert ohne lange zu überlegen.
"Schriftsteller", wiederholt die Großmutter und lacht gönnerhaft. Robert hätte genausogut Astronaut sagen können. Oder Höhlenmensch. Die Mutter lächelt gequält. Sie möchte, daß er später mal Arzt wird. Vater hat sich nicht so genau festgelegt. Er möchte lediglich, daß sein Sohn jemand wird, der anderen Anweisungen erteilt und niemand, dem ein Anderer sagt, was er zu tun hat. So wie ihm.
"Hast du denn schon mal was geschrieben?", fragt der Großvater. Er lächelt freundlich.
"Er macht den ganzen Tag nichts anderes", nimmt der Vater Robert die Antwort ab.
Robert beginnt, sich etwas unwohl zu fühlen. Das Lachen der Großmutter hat ihn verunsichert. Er stellt sich zwar gerne vor, daß man mit ihm über seine Geschichten spricht, aber wenn es dann wirklich passiert, hat er Angst, daß man ihn nur verspotten will.
"Darf ich mal etwas von dem lesen, was du schreibst?", fragt der Großvater.
Robert zuckt mit den Schultern. Er weiß nicht, was er antworten soll. Das liegt daran, daß er sich nicht sicher ist, ob sich der Großvater wiklich dafür interessiert oder es nur so dahersagt.
"Aber wenn du nicht möchtest, ist das auch nicht schlimm", fügt der Großvater immer noch freundlich lächelnd an. "Ich kann das gut verstehen".
"Doch", sagt Robert und steht auf, um in sein Zimmer zu gehen. Er hört noch, wie die Mutter sagt: "nach dem Abitur will er Medizin studieren". Und die Großmutter sagt zum Vater: "du wolltest früher immer Musiker werden, weißt du noch?". Und dann lacht sie wieder. Der Großvater sagt gar nichts. Er wartet einfach darauf, daß Robert ihm eine seiner Geschichten bringt. Robert mag den Großvater. Natürlich mag er die Großmutter auch und die Eltern sowieso. Aber zumindest heute, glaubt Robert, ist der Großvater der einzige, der ihn ernstzunehmen scheint. Robert wird eine gute Geschichte für den Großvater aussuchen.

In seinem Zimmer holt er die blauen Schulhefte hervor. Der Schreibtisch hat drei Schubladen und in jeder davon liegt ein Stapel Hefte. Er fragt sich, welche seiner Geschichten er dem Großvater zeigen soll. Zunächst denkt er an die Geschichte von dem Flugzeug, das nicht an einen anderen Ort fliegt, sondern in eine andere Zeit. Robert hat sie im letzten Jahr geschrieben. Die Passagiere steigen aus dem Flugzeug aus und finden es erst ganz toll, daß sie in der Zukunft gelandet sind. Aber als sie sich genügend umgesehen haben und wieder zurückfliegen wollen, müssen sie feststellen, daß der Tank des Flugzeugs leer ist und es in der Zukunft keinen Treibstoff mehr gibt. Robert findet das Ende seiner Geschichte sehr aufregend und originell. Er nimmt das Heft hervor und liest ein paar Zeilen hier, ein paar Zeilen dort. Doch plötzlich gefällt sie ihm nicht mehr. An manchen Stellen seiner Geschichte verhalten sich seine Figuren wie kleine Kinder und nicht wie Erwachsene. Außerdem weiß Robert nicht, ob es all die Knöpfe, Hebel und Skalen, die er sehr ausführlich beschrieben hat, in einem richtigen Flugzeug auch wirklich gibt. Der Großvater weiß es bestimmt. Robert möchte sich nicht blamieren. Er klappt das Heft wieder zu. Schließlich nimmt er das Heft, in dem sich der erste Teil seiner Rittergeschichte befindet. Es ist die Geschichte, die Robert selbst im Augenblick am besten gefällt. Daher soll der Großvater sie lesen. Und daß die Geschichte in diesem Heft nicht vollständig ist, macht auch nichts. In die letzte Zeile auf der letzten Seite hat Robert geschrieben: "Fortsetzung folgt". Somit wird der Großvater ahnen können, daß die Stelle, an der der Turm mit den drei Schlössern gefunden wird, nicht gleichzeitig das Ende der ganzen Geschichte ist.

Robert kehrt mit dem Heft ins Wohnzimmer zurück. Mutter und Großmutter blättern inzwischen in einem alten Fotoalbum. Robert gibt dem Großvater das Heft mit seiner Geschichte. Großvater schaut auf die Umschlagseite, dann schlägt er das Heft auf und liest still den ersten Satz. Er klappt das Heft wieder zu und schaut erneut auf den Umschlag. Dann fragt er: "Hat deine Geschichte keinen Titel?"
"Ich gebe ihnen immer erst einen Namen, wenn sie fertig sind", antwortet Robert.
"Sie ist noch nicht fertig, deine Geschichte?"
"Diese noch nicht", sagt Robert. "Ist das schlimm?"
Der Großvater lächelt gütig und schüttelt langsam den Kopf. Dann schlägt er das Heft wieder auf und beginnt zu lesen. Robert betrachtet aufmerksam das Gesicht des Großvaters. Er sieht die Augäpfel hinter den runden Brillengläsern, wie sie zügig von links nach rechts wandern, dann mit einem Sprung nach links zurück und wieder auf die Reise nach rechts. Im Geiste liest Robert die Geschichte mit. Er kennt sie natürlich am besten und weiß, was er auf der ersten Seite geschrieben hat oder auf der zweiten. Der Großvater liest schnell und konzentriert. Manchmal zucken seine Mundwinkel zu einem sich anbahnenden Lächeln. An einer anderen Stelle hebt er die Augenbrauen und Robert glaubt zu erkennen, daß er ganz leicht nickt. Nach Roberts Meinung blättert der Großvater aber viel zu schnell um. An manchen Sätzen hat er lange gefeilt, bis sie ihm gefielen. Natürlich kann man viel schneller lesen als schreiben, aber Robert würde sich wünschen, daß der Großvater seine Sätze langsam und sorgfältig in sich aufnehmen würde. So wie ein Sahnebonbon, das am besten schmeckt, wenn man es langsam im Mund zergehen läßt. Robert fürchtet schon, daß seine Geschichte dem Großvater nicht gefällt. Und das gleubt er erst recht, als der Großvater plötzlich die letzten Seiten einfach nur noch umschlägt, ohne sie vorher gelesen zu haben. Doch der Großvater beugt sich zu ihm herüber und sagt: "Sie gefällt mir sehr gut, deine Geschichte. Ich würde sie gerne in aller Ruhe lesen können. Meinst du, daß ich das Heft für ein paar Tage mit nach Hause nehmen kann?" Er zwinkert mit einem Auge. Robert strahlt. Und dann nickt er.

Am nächsten Tag verläßt Robert in der großen Pause den Schulhof. Das ist eigentlich verboten, aber die meisten Kinder tun das. Viele gehen zu dem kleinen Kiosk, der auf der anderen Straßenseite liegt, und kaufen Bonbons oder Cola oder kleine Tütchen mit Fußball-Sammelbildern. Andere gehen in das Plattengeschäft um die Ecke, wo sie Musik hören und durch endlose Stapel von Langspielplatten blättern können. Robert geht gerne in das Schreibwarengeschäft von Herrn Helmes, in dem es nach Papier und nach Druckerschwärze riecht. Herr Helmes freut sich immer, wenn er Robert sieht. Letzte Woche hat er mit ihm zwei große Pausen lang über Kugelschreiber und Füllfederhalter gesprochen. Robert hat sich ausführlich beraten lassen wie ein Erwachsener, der ein Auto kaufen möchte. Herr Helmes hat ihn sogar eine Probefahrt machen lassen. Das heißt, er hat ihm einen großen Bogen Papier gegeben, und Robert hat damit begonnen, die verschiedenen Schreibgeräte auszuprobieren. Erst den einen Kugelschreiber, dann den nächsten, dann den übernächsten und so weiter. Heute nun möchte Robert einen der Stifte kaufen. Es ist ein blauer Kugelschreiber, der unten am Schaft etwas geriffelt ist, damit der Finger beim Schreiben nicht herunterrutschen kann. Er schreibt sehr leicht und macht einen kräftigen, satten Strich. Robert hat festgestellt, daß die Tinte sofort trocknet und nicht verschmiert, wenn man versehentlich mit der Hand auf das Geschriebene kommt. Der Stift ist in einem kleinen, schwarzen Plastikkästchen verpackt. Es sieht sehr edel aus.
"Der kostet aber vier Mark", sagt Herr Helmes.
"Ich weiß", antwortet Robert und zieht den kleinen, braunen Brustbeutel aus dem Kragen seines T-Shirts. Dann macht er ihn auf und schüttet den Inhalt auf den kleinen Teller, der auf der Verkaufstheke steht und der mit der Werbung einer Tageszeitung bedruckt ist. Roberts Münzen sind größtenteils Groschen, aber auch viele 1- und 2-Pfennig- Stücke.
"Ich helfe dir mit dem Zählen", sagt Herr Helmes freundlich. Und dann bauen sie beide kleine Türmchen aus den Münzen, immer soviele übereinander, bis es jeweils 50 Pfennig sind und schließlich sind die vier Mark beisammen. "Vielen Dank für deinen Einkauf", sagt Herr Helmes und tut das Geld in seine Kasse. Robert verstaut die übriggebliebenen Münzen wieder in seinem Brustbeutel und schiebt ihn durch den Kragen zurück unter das Hemd. Dann geht er zu dem kleinen Drehgestell herüber, in dem Romanhefte und Taschenbücher stecken und betrachtet kurz die bunten Umschlagseiten. Dann wendet er sich wieder Herrn Helmes zu und fragt: "darf ich mir ein paar davon ansehen?"
"Aber ja", antwortet Herr Helmes und lächelt freundlich. Es kommt so gut wie nie vor, daß sich einer der Schüler für die Romane interessiert. Und wenn, dann fragt er nicht danach, ob er eines der Bücher zur Hand nehmen darf. Robert ist da anders. Er grüßt, wenn er den Laden betritt. Er verabschiedet sich, wenn er wieder geht. Und er fragt höflich, bevor er irgendwelche Gegenstände anfaßt. Vielleicht ist es das, weshalb Herr Helmes den Jungen so mag. Robert nimmt wahllos ein Buch aus dem Gestell. Er schlägt es nacheinander an mehreren Stellen auf und liest ein paar Sätze. Das Buch handelt von einem Kreuzfahrtschiff, das auf hoher See verunglückt. Aber das ist Robert egal. Ihn interessiert nicht, worum es geht, sondern wie es geschrieben ist. Er schaut nach, mit welchem Satz die Geschichte beginnt und mit welchem sie aufhört. Ob der Autor jedesmal "sagte" schreibt, wenn jemand etwas gesagt hat. Welche Namen er seinen Figuren gegeben hat. Ob sie mehr reden oder mehr denken. Und mit welchen Worten der Autor Dinge miteinander vergleicht. An einer Stelle steht: "Susans Augen waren so blau wie der Pazifik." Robert findet, daß das sehr schön klingt. Er nimmt sich vor, diesen Vergleich auch mal in einer seiner Geschichten zu verwenden.